Der Psychedelika-Führerschein als Modell einer kontrollierten Abgabe von Psychedelika – kriminalwissenschaftliche und grundrechtliche Perspektiven zwischen Wissenschaft, Safe Use und Freiheitsrechten
Von Rechtsreferendar und Kriminologe Pascal Horst
Der Autor arbeitet aktuell als Rechtsreferendar im Bezirk des OLG Nürnberg. Daneben forscht er selbständig, neben Drogen- und Kriminalpolitik insbesondere zum Institut Polizei und den Schnittstellen von Straf- und Sicherheitsrecht. Besonderes Augenmerk legt er hierbei oft auf grundrechtliche Aspekte.
Im öffentlichen Narrativ werden „Drogen“ oft undifferenziert zusammengeworfen. Bei ihrer Einnahme zu nicht medizinischen Zwecken stark emotionalisiert und verkürzt durch Vermischung der Wirkstoffe mit hinter ihrem Vertrieb stehenden kriminellen Strukturen von einer allgemein abstrakten, grundlegenden und erheblichen Gefahr für die öffentliche Gesundheit und Sicherheit gesprochen.
Substanzen wie Psilocybin, Meskalin oder LSD erfahren in Deutschland durch ihre unterschiedslose Kriminalisierung eine grundsätzliche strafrechtliche Gleichbehandlung mit beispielsweise Heroin, Kokain oder Methamphetamin. Ohne dass z.B. das tatsächliche Eigen- oder Fremdgefährdungspotential für die strafrechtlichen Tatbestände des BtMG gesondert beurteilt einbezogen wird (So bspw. Lijst 1 und 2 zum niederländischen Opiumwet). Ein Standpunkt, der bereits in der Debatte um Cannabis über viele Jahrzehnte eine sachliche Diskussion und überhaupt die Erlangung wissenschaftlicher Erkenntnisse erheblich erschwert hat.
Doch gerade die hier auszugsweise genannte Gruppe der Psychedelika unterscheidet sich in Konsummotivation, Kulturgeschichte und auch kriminalstatistischer Bedeutung grundlegend von allen anderen als Rauschmittel konsumierten Substanzen.
Sowohl weltweit als auch in Deutschland bilden sie eine absolute Randerscheinung des illegalen Drogenmarkts, auf dem primär Stimulanzien dominieren. Eine Tendenz, die seit der Teillegalisierung von Cannabis noch mehr zugenommen hat und der hierzulande insbesondere im Zusammenhang mit Kokain auch die Strafverfolgung besondere Aufmerksamkeit schenkt (Vgl. BKA, Bundeslagebild Rauschgiftkriminalität 2023). Auch die Einbeziehung von Dunkelfeldproblematiken dürfte zu keinem groß anderen Ergebnis dieses Phänomens führen.
Noch viel schwerer am Status Quo ihrer Prohibition wiegt jedoch eine grundrechtliche Perspektive auf Psychedelika, deren Konsum nahezu immer zu religiösen oder spirituellen Zwecken erfolgt und sich somit schon von der Konsummotivation essentiell von z.B. Partydrogen unterscheidet.
Mit einer erstaunlichen Unterschiedslosigkeit lässt das deutsche Strafrecht diesen Umstand durch ihre Kriminalisierung völlig unter den Tisch fallen und das seit Jahrzehnten unverändert, ohne auf inzwischen gefestigte, grundlegend geänderte natur- und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zum Gefährdungspotential zu achten. Was zunächst ja erst die Grundrechtfertigung einer Restriktion bildet.
Außerdem werden die teils Jahrtausende alten und weltweiten Gebräuche der Einnahme natürlich vorkommender Psychedelika in kultischen und spirituellen Kontexten völlig missachtet. Der Konsum von Psychedelika unterfällt regelmäßig auch dem persönlichen und sachlichen Schutzbereich der Religionsfreiheit nach Art. 4 I, II GG. Was das BtMG anders als andere Rechtsordnungen konsequent ignoriert. Ein in der Kriminalisierung des einfachen Drogenbesitzes und damit nicht mehrheitskonformer Lebensentwürfe allgemein durchscheinendes Element von Gesinnungsstrafrecht wird hier auffällig deutlich. Und führt insbesondere bei Psychedelika zwei wichtige Punkte geradezu ad absurdum: Das Argument des Gesundheitsschutzes als Straflegitimation in Abwägung mit dem elementaren Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dem jegliches Eingriffsrecht unterliegt, erst recht das Strafrecht als das mit Abstand stärkste Eingriffsrecht eines Staates. Und noch mehr den Kerngedanken von Grundrechten gerade als Minderheitenrechten.
Es ist daher, bei Beachtung der einerseits dennoch zweifelsohne gegebenen gesundheitlichen Risiken und einem nicht zu bestreitenden Mindestmaß an Restriktionsbedarf, aber andererseits auch der besonderen Beziehung des Menschen zu Psychedelika, folgerichtig, neue Impulse zu denken und einen kontrollierten Umgang mit ihnen zu waen.
Ein Muster der Freigabe zu nicht medizinischen Zwecken, welches sowohl den staatlichen Schutzauftrag für die öffentliche Gesundheit gewährleistet, als auch das Bild des mündigen und eigenverantwortlichen Konsumenten würdigt und den idealen Mittelweg zwischen Freiheit und Restriktion findet, könnte eine Freigabe nach einem Führerschein-Modell sein.
Eine Freigabe sollte anhand verschiedener Klassen erfolgen, für die der Konsument sich jeweils einzeln qualifizieren muss. Eine Unterteilung in pflanzlich (bspw. DMT), pilzlich (bspw. Psilocybin) oder synthetisch (bspw. LSD) bietet sich insbesondere an. Eine Trennung ist angezeigt, da sowohl die subjektive Erfahrung als auch die Dosierung sich je nach Wirkstoff teils erheblich unterscheiden können. Erst nach erfolgreichem Ablegen einer theoretischen und praktischen Prüfung (gegebenenfalls inklusive fachärztlich-psychiatrischer Begutachtung bspw. bei potentiell relevanten Vordiagnosen), ist es der Konsumentin oder dem Konsumenten möglich, den jeweiligen Wirkstoff entgegenzunehmen, sei es in Reinform oder als Bestandteil einer Pflanze oder eines Pilzes. Und wie bereits in Oregon und Colorado für Psilocybin möglich, unter Aufsicht von Fachpersonal zu konsumieren. Sehr wichtig ist zu betonen, dass es sich bei den in diesem Rahmen einzurichtenden und noch konkret auszugestaltenden Abgabestellen in jedem Fall weder um Verkaufsgeschäfte noch um Kliniken handelt. Dass das die Anwendung begleitende Fachpersonal keine Ärzte, sondern nur speziell für die Abgabe und betreute Anwendung von Psychedelika geschulte Personen sind. Und diese Form der Abgabe auch im Übrigen streng vom medizinischen Gebrauch zu trennen ist.
Um die Konsumierenden hierauf vorzubereiten, ist eine umfassende Unterweisung in verschiedenen Bereichen notwendig. Lerninhalte könnten verschiedene Module aus den Bereichen Neurologie, Pharmakologie, Psychiatrie, Psychologie aber auch Botanik und Religionswissenschaft sein. Wichtig ist es, die angehenden Konsumierenden breitgefächert zu unterrichten und ihnen zahlreiche eigene Ressourcen zu wissenschaftlicher Aufklärung, Safe Use und Harm Reduction an die Hand zu geben.
Erst nach Bestehen der einzelnen Module ist, um in der Analogie zum Führerschein zu bleiben, ein theoretisches Grundmaß an Verkehrssicherheit vorhanden und die Durchführung von begleiteten „Fahrstunden“ z.B. im Rahmen von Microdosing und nachträglichem Erhöhen der Dosis bis zur wirksamen und noch angenehmen Menge möglich. An das Fachpersonal, welches die einzelnen Module unterrichtet, Psychedelika abgibt, bei ihrer Anwendung präsent ist und am besten auch eine Form individueller Nachbearbeitung der Konsumerfahrungen ermöglicht, sozusagen „die professionellen Tripsitter“, sind bezüglich Zuverlässigkeit und Qualifikation hohe Anforderungen zu stellen. Um sozusagen als externe Kontrollinstanz die Grundsätze des Safe Use zu kontrollieren und ihnen nachhelfen zu können.
Es ist nicht außer Acht zu lassen, dass sich natürlich auch zahlreiche zivilrechtliche Folgefragen stellen werden. Zur konkreten Vertragsgestaltung oder insbesondere zur Haftung. Ebenso müsste institutionell eine Aufsichtsbehörde geschaffen oder zumindest bestimmt werden, die im öffentlich-rechtlichen Rahmen über jede Form verwaltungsrechtlicher Fragestellungen der Umsetzung entscheidet. Wobei es zentral wäre, die Fehler des KCannG nicht zu wiederholen, eine Zersplitterung in der Umsetzung auf Länderebene zu vermeiden und diesen Punkt unbedingt bundeseinheitlich zu regeln; dabei gleichzeitig Anwenderfreundlichkeit zu gewährleisten und nicht in eine unübersichtliche Endlosregulierung zu verfallen.
Selbstverständlich liegt die Realisierung eines solchen Modells am Willen des Volkes in Form einer gesetzgeberischen Mehrheit für solche Ideen, welche aktuell nicht absehbar erscheint. Doch die Stärke des Rechts sollte es sein, gerade besonders die Erkenntnisse zahlreicher Disziplinen miteinander zu kombinieren, abzuwägen, stets am Puls der Zeit sein und sich immer verbessern zu wollen. Sozusagen in jeder Hinsicht sich vom Status Quo des BtMG zu unterscheiden. Nirgendwo in nichtmedizinischen Fragen der Drogenpolitik bietet sich all dies seit Inkrafttreten des KCannG so deutlich an wie im Umgang mit Psychedelika. Gehen wir mit dem Modell des Psychedelika-Führerscheins auf diese Reise.
