Entkriminalisierung, Regulierung und Koalitionsvertrag

Wir haben im Vorstand von LEAP Deutschland am 21.01.2022 beschlossen, dass wir zur Umsetzung des Koalitionsvertrages eine sofortige Entkriminalisierung für Erwerb und Besitz von Cannabis zum Eigengebrauch bis zu einer Menge von 30 g fordern. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass der polizeiliche Verfolgungsdruck gegenüber der Drogenszene seit Jahren zunimmt und bis heute anhält. Auch die gestern veröffentlichte PKS 2021 weist mit 361.048 polizeilichen Ermittlungsverfahren auf der Grundlage des BtMG zwar eine leichten Rückgang von 1,3 % gegenüber dem „Rekordjahr“ 2020 auf, bleibt aber auf hohem Niveau. Gleiches gilt für die allgemeinen Verstöße mit Cannabis mit 180.040 polizeilich registrierter Straftaten. Nimmt man hinzu, dass weiterhin jährlich mehr als 50.000 Personen wegen konsumnaher Delikte von deutschen Strafgerichten verurteilt werden, war angesichts der prognostizierten langen Verfahrensdauer des Gesamtpakets des Koalitionsvertrages die Forderung nach schneller Entkriminalisierung nach unserer Auffassung geboten.

Andererseits ist jedoch festzustellen, dass es für diese Vorgehensweise in der Ampelkoalition gegenwärtig und in der näheren Zukunft ganz offensichtlich keine Mehrheit gibt. Diese Einschätzung ergibt sich aus öffentlichen Äußerungen beispielsweise von Burkhard Blienert und Kirsten Kappert-Gonther sowie aus persönlichen Gesprächen mit weiteren drogenpolitischen Sprechern*innen der Ampelfraktionen. Dabei wird nicht nur die Befürchtung geäußert, dass bei einem Vorziehen der Entkriminalisierung der Regulierungsteil auf der Strecke bleiben könnte. Wichtiger ist aus meiner Sicht, dass der Koalitionsvertrag eben nicht von Entkriminalisierung spricht, sondern von der Einführung einer kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizensierten Geschäften. Hier stimme ich Lorenz Böllinger vollkommen zu, was den „Geist“ des Koalitionsvertrages angeht, nämlich pointiert ausgedrückt: keine Entkriminalisierung ohne verbesserten Gesundheitsschutz durch Regulierung.

Wir haben also einen Dissens und müssen damit umgehen. Wir sollten in der Diskussion nicht vergessen, dass wir zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine parlamentarische Mehrheit dafür haben, das Betäubungsmittelrecht grundlegend in unserem Sinn zu verändern. Auf diesem Weg sind der Bundesdrogenbeauftragte und die Drogenpolitiker von SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP (und wohl auch der Linken) nicht unsere Gegner sondern unsere Verbündeten. Dies sollten wir durch eine überzogene Konfrontation nicht gefährden. Ich jedenfalls werde als Vorsitzender von LEAP eine vorgezogene Entkriminalisierung öffentlich nicht mehr offensiv fordern.

Was wir allerdings brauchen, ist ein klares und starkes Signal, dass es der Bundesregierung und den sie tragenden Fraktionen ernst ist mit der Umsetzung des Koalitionsvertrages zur Drogenpolitik. Dieses Signal sollte nach meiner Auffassung darin bestehen, möglichst kurzfristig einen Vertragsvorbehalt mit einem Aus- und Wiedereintritt im Rahmen der UN Single Convention einzulegen. Dazu wäre zunächst eine Kündigung des Übereinkommens durch Hinterlegung einer entsprechenden Urkunde beim Generalsekretär der UN innerhalb der Kündigungsfristen des Übereinkommens (nach Möglichkeit vor dem 01.07.2022) erforderlich. Der rechtliche Rahmen und die Verfahrensweise im Umgang mit den völkerrechtlichen Vorgaben und auch die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union ist im Übrigen in der Allgemeinen Begründung zum Entwurf des Cannabiskontrollgesetzes (BT-Drucksache 18/4204 Seiten 44 – 46) zutreffend beschrieben. 

Hubert Wimber
Jochen Andruschak
Kai Niermann
Daniela Kreher 

Vorstandsmitglieder LEAP-Deutschland e.V.

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