von Neil Woods und JS Rafaeli
Es ist eines der prägenden Bilder moderner Polizeiarbeit: Hochrangige Beamte präsentieren sich zusammen mit den Drogen ihrer letzten Beschlagnahme. Die Drogen sind auf einem Tisch vor ihnen ausgebreitet. Die Kameras klicken und blitzen. Eindrucksvolle Zahlen über den mutmaßlichen „Straßenpreis“ werden verkündet.
Alle Anwesenden lieben diese Momente. Leitende Beamte können ihre Zahlen polieren; Kommunalpolitiker*innen können ihre Bilder in den regionalen Nachrichten sehen und stolz erklären, dass ein großer Schlag gegen die Drogenkriminalität gelungen sei – und Journalist*innen unter Zeitdruck wissen, dass eine große Menge Drogen zuverlässig Klicks generiert. Und so sind diese Veranstaltungen auch perfektes Futter für die Social Media-Teams, die sich mittlerweile in jeder Polizeistation etabliert haben.
Diese Drogen-auf-den-Tisch-Fototermine gehören zu einer Tradition, die auf die Alkoholprohibition in den 1920ern zurückgeht. Kriminalbeamte steckten Reporter*innen Hinweise, dass bald eine Verhaftung stattfinden würde. So waren diese darauf vorbereitet, das perfekte Foto mit den grinsenden Polizisten einzufangen, die mit einer Keilhacke Whiskey-Fässer zerschlugen.
So sieht – so haben wir es gelernt – erfolgreiche Polizeiarbeit aus.
Das Problem ist, dass diese Fototermine nicht nur auf einer schädlichen Lüge basieren – sie stehen auch im Widerspruch zu den Grundsätzen, durch die sich die Strafverfolgung überhaupt erst rechtfertigt.
Eine Missachtung von Anstand und gesundem Menschenverstand
Die weltweit erste moderne, professionalisierte Polizeieinheit wurde 1829 von Sir Robert Peel in Großbritannien gegründet. Peel etablierte neun Grundsätze, die die neue professionelle Einheit von den beliebigen, planlosen Truppen der Vergangenheit unterscheiden sollte.
Die Peel’schen Grundsätze – die nachdrücklich betonen, dass alle Polizeiarbeit mit dem Einvernehmen der Allgemeinheit geschehen muss – bilden heute die Basis, auf der fast jede demokratische Nation ihren Polizeidienst gegründet hat und weiterentwickelt. Diese Grundsätze unterscheiden freie Länder von Polizeistaaten und sie bilden damit einen wertvollen Beitrag zur modernen Welt.
Unsere hier maßgebliche Unstimmigkeit lässt sich bei Grundsatz 9 finden: „die Wirksamkeit der Polizeiarbeit erweist sich durch die Abwesenheit von Kriminalität und Störungen; die sichtbaren Aktionen der Polizei bei ihrer Arbeit liefern keinen Beweis dafür.“
Es gibt da ein schmutziges Geheimnis, das jede*r Polizist*in kennt
Nun denken Sie zurück an den Fototermin mit der Präsentation der Drogen auf dem Tisch und den blitzenden Kameras. Es gibt da ein schmutziges Geheimnis, das jede*r Polizist*in kennt.
Egal wie viele Beutel mit Drogen auf dem Tisch gestapelt werden, das Angebot wird auf diese Weise in Wahrheit nie ernsthaft beeinflusst. Nie.
Alle Polizist*innen gestehen sich das ein, wenn sie ehrlich sind. Ihre Funde, egal wie beeindruckend sie für die Kameras aussehen, machen absolut keinen Unterschied für das tatsächliche Angebot an Drogen. Alles was sie tun, ist, ihre Aktivitäten nachzuweisen – irgendwelche Aktivitäten – aber nicht das Senken von Kriminalität.
Die Wahrheit ist mittlerweile so offensichtlich geworden, dass sie sogar von hochrangigen Polizeikräften zugegeben wird. Diese Woche [Mai 2019] erst verkündete Vince O’Brien, Leiter der Britischen National Crime Agency (äquivalent zum FBI), öffentlich:
„Solange es Drogengebraucher*innen gibt, die bereit sind, Millionen über Millionen Pfund für Drogen auszugeben … solange sind illegale Drogen ein Thema in diesem Land … Wir können nicht versuchen, alle festzunehmen … Wir müssen die Ursachen dahinter bekämpfen.“
Drogenkriminalität unterscheidet sich in seinem Wesen von anderen Formen von Kriminalität. Wenn man einen professionellen Einbrecher verhaftet, gehen Einbruchsraten in jener Gegend wahrscheinlich runter, zumindest zeitweise; es gibt relativ wenig Leute mit den Fähigkeiten und der Motivation, hauptberuflich Häuser auszurauben.
Illegale Drogenmärkte funktionieren nicht so. Egal, wie viele Nutzer*innen oder Dealer*innen man festnimmt, die allgemeine Nachfrage nach dem Produkt bleibt konstant (und steigt eventuell sogar aufgrund von Traumata durch Gefangennahmen, Trennungen von Familien usw.). Expertenschätzungen lassen vermuten, dass nur ein Prozent der Drogen, die ins Vereinigte Königreich kommen, jemals beschlagnahmt werden. Zahlen aus den USA sind ähnlich gering.
Der Anteil an Einbußen, die Kartelle wegen Beschlagnahmungen durch die Polizei machen, ist kleiner als der Anteil an Einbußen, die große Läden wegen Ladendiebstahl machen.
Ein sicherer Weg zu mehr Gewalt
Tatsächlich ist die Dynamik aber noch katastrophaler. Diese Fototermine mit den Drogen auf den Tischen sind nicht nur grotesk, weil sie niemals das Angebot an Drogen verringern, sondern auch, weil sie Gewalt fördern.
Es ist eine weitere universelle Regel in jedem illegalisierten System, dass wenn man eine Schlüsselperson rausnimmt, man lediglich einen Revierkampf unter den Anhänger*innen und den Rival*innen über das Gebiet auslöst. Dieses Phänomen ist auch als „Freelancer Effect“ bekannt.
Dies hat sich in der Alkohol-Prohibition der 1920er durchwegs gezeigt, ebenso wie heute – von den Urwäldern Lateinamerikas über die Opiumfelder Afghanistans, bis zu den Innenstädten in den USA und in Europa. Wann auch immer Sie Drogen auf Tischen gestapelt mit blitzenden Kameras sehen, seien Sie sich im Klaren darüber: Diese Aktionen tragen zur Gewalt auf den Straßen bei.
In unserem Buch „Good Cop, Bad War“ haben wir im Detail erörtert, wie die Dynamiken des Drogenkriegs ein Wettrüsten auslösen. Die Polizei entwickelt neue Technologien, um Dealer*innen zu verhaften, also bleibt den Banden nichts über als entsprechend zu reagieren: Sie steigern Gewalt und Einschüchterung. Es gibt dabei keinen Raum für Deeskalation. Diese Dynamik kann sich nur in eine Richtung entwickeln. Diese Spirale ist eigentümlich für die Polizeiarbeit in der Prohibition.
Es ist genau das Gegenteil davon, wie Polizeiarbeit aussehen sollte.
Selbst der oberflächlichste Blick auf die Geschichte des Drogenkriegs offenbart den ständig zunehmenden Schaden, den er über die Jahrzehnte hinweg bewirkt hat. Massenverhaftungen und Tote – wobei unverhältnismäßig viele arme Menschen und People of Color getroffen werden. Zusätzlich zu diesen verheerenden Schäden, ist der Drogenkrieg auch ein Verrat an den Polizeibeamt*innen selbst. Viele von ihnen kämpfen gegen ihre Überzeugungen im Drogenkrieg und erleiden Traumata und psychische Probleme.
Die Fototermine mit den Drogenfunden sind nicht einfach nur eine Vernachlässigung der Peel’schen Grundsätze, sondern ein aktiver Verrat an ihnen. Sie sind genau das Gegenteil davon, wie Polizeiarbeit aussehen sollte.
Irgendwann werden wir diese modernen Drogen-auf-dem-Tisch-Fototermine als einen erbärmlichen, destruktiven, verlorenen Fall betrachten und mit demselben Schaudern darauf zurücksehen, so wie wir jetzt auf die Schwarzweiß-Bilder aus der Alkohol-Prohibition zurücksehen, auf denen Agenten Whiskyfässer zerschlagen.
Das erste Opfer eines jeden Krieges ist die Wahrheit. Drogenkrieg-Propaganda wütet täglich in Nachrichtensendern, Titelseiten und Social Media-Accounts – und wird von Politiker*innen aufgegriffen und verbreitet. Der fünfte Peel’sche Grundsatz erfordert dagegen, dass die Polizei immer „absolut unbefangen dem Gesetz dient und komplett unabhängig von der Politik handelt“. Wenn die Polizei sich auf diese Weise zur Schau stellt und ihre Arbeit als Gelegenheit für politische Fotoaktionen benutzen lässt, verletzt sie ihre Pflicht zur Unparteilichkeit und macht sich zum politischen Akteur in dieser destruktiven Gesetzgebung.
Dieser Verrat muss aufhören!
Wir haben diesen Artikel als eine Stellungnahme formuliert, die den Protest unterstützen soll. Wir bitten Sie: Speichern Sie sich den Artikel ab und posten Sie ihn jedes Mal wieder in die Kommentarspalten, wenn eine Polizeidirektion in ihrem Social Media-Account stolz Bilder von ihrem neuesten „Erfolg“ zur Schau stellt.
Lassen Sie sie wissen, dass das Spiel vorbei ist. Lassen Sie die Polizei nicht damit davonkommen, ihre wertvollsten und wesentlichsten Grundsätze für Social Media-Likes zu verraten.
Neil Woods ist ein ehemaliger verdeckter Ermittler, der 14 Jahre lang Drogenbanden im Vereinigten Königreich unterwandert hat. Mittlerweile ist er der Vorsitzende von LEAP UK – einer drogenpolitischen Organisation, die sich aus Personen zusammensetzt, die Erfahrungen in Bereichen des Strafrechts gesammelt haben und die sich für eine legale Regulierung von Drogen einsetzen.
JS Rafaeli ist Journalist und Autor. Er hat seine Artikel unter anderem in der Vice und The Times (London) publiziert.
Zusammen haben sie die Bücher „Good Cop, Bad War“ und „Drug Wars: The terrifying inside stroy of Britain’s drug trade“ geschrieben. Es gibt noch keine Übersetzungen ins Deutsche.
Der Artikel ist ursprünglich am 16.5.2019 im Filter Magazine erschienen, ein englischsprachiges Online-Magazin über Drogengebrauch, Drogenpolitik und Menschenrechte. Folgen Sie Filter auf Facebook und Twitter. Abonnieren Sie den Newsletter hier.
Der Artikel wurde von Philine Edbauer ins Deutsche übersetzt.
Aktuelle Drogenfunde bei Twitter