In folgendem Schriftwechsel ist die Anfrage unseres Vorstandmitglieds Jochen Andruschak an Friedrich Merz, die Antwort, die er von der CDU bekam, und unsere Reaktion als Vorstand des Vereins zu lesen.
Datum: 24. September 2024
An: friedrich.merz@cdu.de
Betreff: Cannabis-Legalisierung
Sehr geehrter Herr Merz,
Mit Erstaunen nehme ich Ihre Äußerungen zum Cannabis-Gesetz wahr und frage mich, mit welchem Koalitionspartner Sie Ihre Äußerungen umsetzen wollen. Sowohl die FDP als auch die SPD und auch die Grünen stehen für eine andere und bessere Drogenpolitik.
Ich bin Polizeibeamter im operativen Bereich und sehe, dass wir eine deutliche Entlastung mit dem neuen Gesetz haben. Wir benötigen keine Feinwaage im Streifenwagen und haben nun Zeit, die wirklich wichtigen Delikte zu verfolgen.
Die Bandenkriminalität in NRW auf die Cannabislegalisierung zurückzuführen ist nicht richtig, denn in keinem anderen Bundesland haben wir diese Probleme, die der von Ihnen angeführte Kollege zitiert und Bandenkriminalität gab es auch schon vor der Legalisierung.
Mir drängt sich zudem die Frage auf, was Sie als Alternative zum bestehenden Gesetz anbieten können, denn ein Verbot wird wieder dazu führen, dass der Schwarzmarkt gestärkt wird.
Und seien Sie sicher, dass die Konsumierenden, die aktuell konsumieren, auch bei einem Verbot weiterhin konsumieren werden.
Sollten Sie Interesse an einem Austausch mit einem Polizist aus der Praxis haben, der frei von Gewerkschaften operiert, so stehe ich Ihnen für einen Dialog bereit.
Freundliche Grüße
Jochen Andruschak
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Antwortschreiben
Von: Paul Hoffmann <paul.hoffmann@cdu.de>
Betreff: Ihre Nachricht an Friedrich Merz
Datum: 9. Oktober 2024
Sehr geehrter Herr Andruschak,
vielen Dank für Ihr Schreiben an den Vorsitzenden der CDU Deutschlands Friedrich Merz MdB. Er hat mich gebeten, Ihnen zu antworten.
Zunächst möchte ich mich Ihre offenen Worte bedanken. Es ist wichtig, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land mit politischen Fragestellungen auseinandersetzen, sich eigene Gedanken zu aktuellen Themen machen und uns diese mitteilen.
Wir stehen unterdessen weiter zu unserer Überzeugung: Das Cannabis-Gesetz, durch das die Bundesregierung den „kontrollierten“ Umgang mit Cannabis regeln wollte, bleibt aus unserer Sicht ein schwerer Fehler. Die Bundesregierung hat mit diesem Gesetz gezeigt, dass sie die Kontrolle über diese Droge abgegeben hat. Gegen den Rat vieler Fachleute aus der Medizin, der Psychiatrie, der Kinder- und Jugendhilfe, der Kriminologen, der Polizei und nicht zuletzt der Justiz hat die Ampel-Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz die grün-liberale Ideologie durchgedrückt. Auch die Chance, im Bundesrat durch Anrufung des Vermittlungsausschusses noch Schadensbegrenzung walten zu lassen, wurde vertan. Mit der gesetzlichen Straffreiheit des Cannabis-Konsums sendet die Bundesregierung ein verantwortungsloses Signal an Jugendliche und Heranwachsende und erschwert die Bekämpfung des illegalen Drogenhandels.
Das Cannabis-Gesetz ist zu allem Überfluss auch als sogenanntes Amnestiegesetz ausgestaltet: Alle diejenigen, die unter der Geltung des früheren Verbots bestraft worden sind, haben nun also Anspruch auf die Neuaufnahme der längst abgeschlossenen Strafverfahren. Dies hat zur Folge, dass Gerichte und Staatsanwaltschaften über Monate hinweg mit den alten Verfahren belastet werden und für neue Verfahren noch weniger Zeit haben. Überparteiliche Kritik der Landesinnenminister, -justizminister und -gesundheitsminister wurde von der Bundesregierung einfach ignoriert. Wir sehen bereits jetzt, dass dieses Cannabis-Gesetz der Ampel der Gesundheit unserer Kinder schadet und die innere Sicherheit gefährdet.
Wir finden: Die Ampel sollte die Kraft besitzen, den Fehler der Cannabis-Freigabe jetzt schnell zu korrigieren. In der Politik werden Fehler gemacht, und die Folgen einer falschen Gesetzgebung kann man unterschätzen. Aber sehenden Auges in eine solche Verschärfung der Drogenkriminalität abzurutschen, das sollte eine verantwortungsvolle Regierung nicht zulassen. Für uns als CDU Deutschlands ist jedenfalls klar: Wir werden bei einer Regierungsübernahme darauf hinarbeiten, dieses Gesetz schnellstmöglich rückgängig zu machen.
Sehr geehrter Herr Andruschak, vielleicht wird meine Antwort Sie nicht zufriedenstellen. Dennoch möchte ich Ihnen nochmals für Ihre Nachricht danken. Austausch und Diskussion sind wichtig für den politischen Diskurs und unsere Demokratie.
Freundliche Grüße aus dem Konrad-Adenauer-Haus
Paul Hoffmann
Referent
Hauptabteilung
Politik und Programm
CDU Deutschlands
Konrad-Adenauer-Haus
Klingelhöferstraße 8 – 10785 Berlin
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LEAP – offener Brief an Friedrich Merz
Datum: 20.10.2024
Sehr geehrter Herr Merz,
vielen Dank für Ihr Antwortschreiben an unser Vorstandmitglied Jochen Andruschak vom 9.10.2024.
Unsere Organisation setzt sich seit 10 Jahren für eine moderne Drogenpolitik in Deutschland ein, und zwar insbesondere aus Sicht der Strafverfolgung, also der rechtspflegenden Richterschaft, der Staatsanwaltschaften, der Anwaltschaft und insbesondere der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten.
Uns erschreckt Ihre verkürzte und unterkomplexe Sichtweise auf die vergangenen und gegenwärtigen Perspektiven im Bereich der Drogenpolitik. Aus unserer Sicht reichen Ihre Überlegungen zur Gestaltung einer liberalen und fortschrittlichen Gesellschaftspolitik, einer Politik für das 21. Jahrhundert, nicht aus.
Der ständige Verweis auf eine angeblich vorhandene Ideologie beim politischen Wettbewerber, ohne sich inhaltlich damit konkret auseinanderzusetzen, trägt zu einer Erhitzung, wenn nicht gar zu einer Verrohung der gesellschaftlichen Debatte bei, die geeignet ist, den gesellschaftlichen Frieden ernsthaft zu gefährden.
Sie behaupten, dass die Bundesregierung die Kontrolle über Cannabis abgegeben hat. Sie behaupten auch, dass gegen den Rat vieler Fachleute die Ampel-Regierung mit dem Konsumcannabisgesetz (KCanG) eine grün-liberale Ideologie durchgedrückt hat. Damit würde ein verantwortungsloses Signal an Jugendliche und Heranwachsende gesendet, und die Bekämpfung des illegalen Drogenhandels erschwert.
Außerdem behaupten Sie, dass durch die Amnestieregelung eine Überlastung der Justiz eintreten würde, da über Monate hinweg alte Verfahren bearbeitet werden müssten und für neue Verfahren weniger Zeit bliebe.
Das KCanG soll bereits jetzt der Gesundheit unserer Kinder schaden sowie die innere Sicherheit gefährden und zwar durch eine Verschärfung der Drogenkriminalität. Ihre Behauptungen werden ohne jeglichen Nachweis oder wissenschaftliche Evidenz aufgestellt.
Es ist nämlich mitnichten so, dass durch die Cannabislegalisierung ein erhöhter Konsum eingetreten wäre, noch dass sich die Kriminalität im Bereich Cannabis erhöht hat. Entsprechende Nachfragen beim Innenministerium in Nordrhein-Westfalen, dessen CDU-Minister einen entsprechenden Zusammenhang mit der sogenannten Mocro-Mafia behauptet hatte, konnten solche erhöhte Zahlen nicht bestätigen. Auch das Bundeskriminalamt hat auf Nachfrage bestätigt, dass ein Zusammenhang zwischen den Aktivitäten niederländischer Banden und der Legalisierung von Cannabis in Deutschland bis dato nicht feststellbar ist.
Vielmehr ist es so, dass auch in den Ländern, die Cannabis bereits auf nationalstaatlicher oder föderaler Ebene legalisiert haben (zum Beispiel Kanada, Uruguay, die Teilstaaten in den USA) kein signifikanter Anstieg des Konsums von Cannabis bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen festgestellt werden konnte, eher im Gegenteil, in dieser Gruppe ist der Konsum zurückgegangen. Allenfalls in den älteren Bevölkerungsgruppen konnte man eine Veränderung in den Prävalenzen feststellen.
Die CDU/CSU bietet auch keine Alternative in der Drogenpolitik an. Jedes Jahr werden 400-600 t Cannabis im illegalen Markt gehandelt. Das KCanG schafft nun die Möglichkeit, durch den Eigenanbau und die Anbauclubs dem illegalen Markt die ersten Anteile zu entziehen. Händler von Home Grow-Zubehör waren im 1. Halbjahr 2024 ausverkauft, was darauf schließen lässt, dass die Cannabiskonsumenten von den neu gewonnenen Freiheiten regen Gebrauch machen. Ebenso beginnen die ersten Anbauvereinigungen jetzt zunehmend mit der Produktion, und der medizinische Markt für Cannabis ist ebenfalls deutlich angestiegen.
Die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik für nächstes Jahr werden die entscheidenden Belege für einen erheblichen Rückgang der konsumnahen Delikte im Bereich Cannabis erbringen, und damit auch einen Beleg für die Entlastung von Polizei und Justiz. Diese deutliche Entlastung berichten uns bereits jetzt viele unserer Mitglieder aus den Reihen der Polizei.
Und welche Alternative bietet die CDU/CSU denn an?
Wieder zurück zum alten Zustand? Mit repressiven Gesetzen und repressivem staatlichen Handeln wie in den vergangenen Jahrzehnten? Jedes Jahr die weitere strafrechtliche Verfolgung von 180.000 konsumnahen Delikten? Eine Schattenwirtschaft mit einem Umsatz von 4-6 Milliarden Euro, die lediglich der organisierten Kriminalität vorbehalten bleibt? Die alte Politik der Prohibition und Strafverfolgung ist gescheitert, was auch Sie einräumen müssen!
Die Bundesregierung ist nach umfassender Beratung mit Fachleuten in monatelangen Prozessen zu der Erkenntnis gekommen, dass für Cannabis aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse eine geänderte Risikobeurteilung vorzunehmen ist. In diesen Expertenrunden waren im Übrigen entgegen ihrer Behauptung etwa 80 Prozent der eingeladenen Sachverständigen und Experten für die Entkriminalisierung des Cannabiskonsums. Cannabis ist eben nicht mit vergleichbaren Risiken verbunden wie Kokain oder Heroin und in der Gesamtbetrachtung ungefährlicher als Alkohol. Dementsprechend mussten auch die strafrechtlichen Voraussetzungen zur Bekämpfung des illegalen Handels von Cannabis angepasst werden. Vielleicht mag es die Straßenhändler freuen, dass sie nunmehr legal 25 g im öffentlichen Raum mit sich führen dürfen. Es darf aber bezweifelt werden, dass dadurch 1 g Cannabis mehr verkauft wird. Ergeben sich Hinweise auf einen illegalen Handel mit Cannabis, kann die Polizei nach wie vor einschreiten.
Eine Amnestieregelung war im Sinne der materiellen Gerechtigkeit erforderlich. Viele Bürgerinnen und Bürger, die Cannabis konsumiert haben und deswegen in der Vergangenheit bis zu den jetzt legalen Grenzen (25 g bzw. 50 g am Wohnsitz und 3 lebende Pflanzen) verurteilt wurden, haben ein Recht darauf, dass diese Verurteilungen gelöscht werden können. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Verurteilungen über 90 Tagessätze bei bis zu 25 g eher die Ausnahme waren und als besonders drastisch bezeichnet werden können. Außerdem wird die Amnestie nur auf Antrag gewährt, der auch erst im nächsten Jahr gestellt werden kann. Eine Überlastung der Justiz ist hierdurch nicht zu erwarten.
Und in Fragen der Drogenpolitik warten noch ganz andere Herausforderungen auf uns, auf die wir mit neuen Wegen und neuen Ideen reagieren müssen. Hier verweisen wir auf den Kokainhandel und den Handel mit synthetischen Substanzen, die in vielen Bereichen Auswüchse der misslungenen Drogenpolitik sind. Die Akteure und Organisationen sind mittlerweile so mächtig geworden, dass sie neben den Entwicklungsländern mittlerweile auch Industrienationen in ihrer Funktionalität gefährden können, siehe das Beispiel der Niederlande. Was ist Ihre Antwort hierauf? Noch mehr Polizei, noch mehr Zoll, noch mehr Verfolgung als in den letzten Jahrzehnten?
Besinnen Sie sich lieber auf Ihre verantwortungsvolle Position als Politiker, der die Chance und die Verpflichtung hat, die Gesellschaft mitzugestalten, und arbeiten Sie an einer neuen Drogenpolitik mit! Gemeinsam können wir es schaffen, wenn Sie Ihre veraltete Prohibitions- und Verbotsideologie über Bord werfen, die Präventionsarbeit, insbesondere an Schulen und für Jugendliche zu verbessern, um riskanten Konsum zu verhindern und kriminellen Strukturen entgegenzuwirken. Bei Alkohol gehen Sie von einem selbstbestimmten Menschenbild und einem verantwortungsvollen Umgang mit der Droge aus, bei Cannabis sollten allerdings dieselben Grundsätze gelten.
Trotz aller gegenteiligen Erfahrungen glauben wir weiterhin an die Veränderungsbereitschaft der Union und setzen auf Sie!
Herzliche Grüße,
Hubert Wimber, Kai-Friedrich Niermann, Natascha Barz, Jochen Andruschak
(Vorstand Law Enforcement Against Prohibition Deutschland e.V.)